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Warum § 103 StGB grundrechtswidrig ist (Böhmermann)
12.05.2016 19:27

Artikel 19 GG : "Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muss das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten."

Im Rahmen der heutigen Bundestagssitzung zur etwaigen Streichung des § 103 StGB, fiel unionsseitig immer wieder das Argument, die Abschaffung dieses Paragrafen käme einer Einzelfallgesetzgebung gleich: Zwecks gezielten Schutzes von Jan Böhmermann solle ein Gesetz gestrichen werden und dies sei erstens als negativer gesetzgeberischer Akt eben dennoch ein Gesetzgebungsakt, zweitens als solcher auf einen Einzelfall bezogen und folglich gemäß Artikel 19 GG grundgesetzwidrig.

Ein Argument, dem man sich stellen muss: Zum Einen steht das Argument entgegen, dass die Aufhebung des Paragrafen allgemeingültig ist, indem es für eine unbestimmte Allgemeinheit aufgehoben wird; zweitens beinhaltet das Allgemeinheitsgebot von Art. 19 GG die Einschränkung eines Grundrechtes und nicht dessen Ausweitung. Aber die schwerwiegendste Entgegnung ist die, dass die Bundesregierung selber im Moment ihrer besonderen Strafermächtigung eine "Einzelfallgesetzgebung" vollzogen hat.

Einzelfallgesetzgebung durch die Bundesregierung

Der Bundesregierung wird in § 104a StGB das freie Ermessen erteilt, über eine verschärfte Strafverfolgung nach § 103 StGB zu entscheiden. Vor dieser etwaigen Entscheidung für oder wider Strafverfolgung nach dieser Norm ist ebendiese zwar als allgemeines Gesetz bereits vorhanden, wird aber exekutiv nicht nach Maßgabe eines erfüllten oder eben nichterfüllten Straftatbestandes allgemeingültig geahndet, sondern individuell auf einen Einzelfall bezogen und auch noch mit freiem Ermessen. Hier wird also ein Gesetz für den Beschuldigten erst durch die Missbilligung der Tat durch die Bundesregierung existent oder besser - um es in der Wortwahl von Art. 19 GG zu halten: Das Gesetz gewinnt seine Geltung erst mit der Missbilligung der Bundesregierung.

Mangelnde Güterabwägung

Hinzu kommt erschwerend, dass die Bundesregierung bereits vor Erhalt des Gutachtens der für den Fall zuständigen Staatsanwaltschaft gemäß § 109 II RiStBV beschlossen hatte, die Ermächtigung zur verschärften Strafverfolgung zu erteilen. Soweit die Bundesregierung also in die Grundrechte der Meinungs- und Kunstfreiheit eingriff, so wenig wog sie diese Grundrechte gegen etwaige Gründe, die für die verschärfte Strafverfolgung sprechen, in gebotener Weise ab. Die Tatsache, dass § 104a der Bundesregierung willkürähnliche Ermächtigungsbefugnisse erteilt, kann die Bundesregierung nicht von der Pflicht der Güterabwägung nach Art. 1 III GG befreien - im Gegenteil: Je mehr Freiheit die Gesetzeslage der Exekutive bietet, desto gründlicher gilt es, die Grundrechte zu beachten.

Wenn man meine Sicht, das Gesetz nach § 103 StGB gewönne seine Geltung erst durch Willkür der Bundesregierung und werde erst durch ihre subjektive Missbilligung für den Beschuldigten existent nicht teilen mag, so mag man mir vielleicht in der Auffassung folgen, dass Art. 103 II GG der subjektiven Ermächtigungsfreiheit der Bundesregierung entgegensteht:

Das Bestimmtheitsgebot.

Dieses besagt, dass nur bestraft werden kann, wenn es a) überhaupt vor Tatbegehung eine allgemeine Strafnorm auf diese Tat bezogen gab und diese Strafnorm b) hinreichend bestimmt ist. Will heißen: Der Tatbestand der Strafnorm muss derart klar gefasst sein, dass jedermann sich im Klaren über die Grenzen zum Verstoß gegen denselben sein kann.

Jedenfalls mangelt es der Strafnorm aufgrund der subjektiven Ermächtigung der Bundesregierung zur individuellen Strafverfolgung mit verschärftem Strafrahmen an hinreichender Klarheit; denn warum genau hat Angela Merkel im Namen der Bundesregierung die Strafverfolgung nach § 103 StGB zugelassen? Die publizierten Gründe sind hanebüchen bis widersprüchlich, wie im vorigen Blogbeitrag bereits aufgezeigt. 

Überhaupt: Würde die Bundesregierung auch auf Antrag von Assad oder Putin oder Orban eine Ermächtigung bei ähnlichen Umständen erteilen, oder könnte der Satiriker hier auf politischen Opportunismus hoffen?

Demnach kann sich in Deutschland keiner im Falle satirischer Behandlung ausländischer Staatschefs hinreichend sicher sein, ob dieser Staatschef vielleicht in der Lage ist, die Bundesregierung gegen ihn in Stellung zu bringen um ihn mit verschärftem Strafmaß zu verfolgen. Auch kann kein Bürger wissen, ob die nach § 104a geforderte Gegenseitigkeit vorliegt - ob die Gesetzeslage im Land des angegangenen Staatschefs überhaupt eine ähnliche besondere Strafverfolgung von dessen Landsleuten im Falle einer Beleidigung der Kanzlerin durch jene zulässt. 

Zusammenfassend...

... ist § 103 iVm § 104a StGB in mehrfacher Hinsicht grundgesetzwidrig:

  1. Die Exekutive kann subjektiv auf den Einzelfall bezogen ein Gesetz zur Geltung bringen - das verstößt gegen Art. 19 GG
  2. Da die Entscheidung der Exekutive eine subjektive ist, fehlt es an hinreichender Klarheit der Straftatbestände - das verstößt gegen Art. 103 III GG.

Die üblichen Beschwerden über § 103 StGB, die in der Öffentlichkeit kursieren, kratzen albern an der Oberfläche des Problems:

  • Das Problem ist nicht, dass § 103 StGB aus dem auslaufenden 19. Jahrhundert stammt (als könnte das Alter eines Gesetzes überhaupt Aufschluss über seine Tauglichkeit geben!),
     
  • das Problem ist auch nicht, dass die "Majestätsbeleidigung" in einer Demokratie mangels vorhandenen herrschenden Hochadels überkommen ist;
     
  • weiterhin ist es auch kein Problem, dass außenpolitische Beziehungen mangels § 103 StGB bedroht sein könnten (Fakt ist vielmehr erwiesenermaßen, dass dieser § die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei erst verkompliziert und ein Verzicht auf diesen Paragrafen die Bundesregierung gegenüber einem unwilligen Staatschef mangels Einflussmöglichkeit aus der Verantwortung nehmen würde!) ...​

... das Problem ist viel gravierender: Dieser Paragraf bietet der Bundesregierung die Handhabe zur willkürlichen Strafverfolgung individueller Fälle unter massiver Kollision mit dem Grundgesetz. Man mag einwenden, dass die Rechtsprechung letztlich durch unabhängige Richter geschieht - nur übersieht dieser Einwand, dass die Richter mit der Willkürermächtigung überhaupt erst eine Gesetzesgrundlage via Bundesregierung serviert bekommt, die sie ohne Willkürermächtigung der Regierung gar nicht erst zu würdigen hätte.

Nein, es bleibt für meinen Geschmack festzustellen, dass § 103 StGB grundgesetzwidrig ist und folglich abgeschafft gehört.

Die Affäre "Böhmermann"

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