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Die Affäre "Böhmermann"
23.04.2016 22:27

Böhmermanns Satire lockte selbst die ansonsten leidenschaftslose Kanzlerin aus der Reserve - und offenbarte ihre Grundrechtsvergessenheit. Eine nüchterne Betrachtung des Geschehenen:

Böhmermann reagierte satirisch auf den Umstand, dass Erdogan ein Lied von extra3 zum Anlass nahm, den deutschen Botschafter einzubestellen. Böhmermann dichtete ähnlich, wie es zuvor die extra3-Redaktion tat, kunstarm und reimend  im Metrum zum Nena-Song "99 Luftballons" ein "Schmähgedicht". Ziel dieser Gegenüberstellung unter Nutzung formell gleichartiger Kunstformen (Lied / Liedtext) war es, das satirisch Erlaubte vom Unerlaubten zu unterscheiden. Nach dem Motto "Schau her - das, worüber Du Dich aufregst, ist hierzulande ein geschützter Wert; dagegen vorzugehen ist überzogen. Aber das nun folgende Machwerk, das wäre auch in Deutschland unerlaubt - würde es ernsthaft an Dich adressiert - und in einem solchen Fall wäre Deine Reaktion verständlich". Es folgte dann als Gegenüberstellung das besagte Schmähgedicht.

Dieses Schmähgedicht war nun derart grotesk überzeichnet und in seiner Wortwahl derart massiv derbe, dass jedem klar denkenden Menschen bewusst war, dass das Gedicht in keiner Weise ernsthaft unterstellen wollte, das "Gelöt" des türkischen Präsidenten stinke tatsächlich nach Döner oder er treibe gar Unzucht mit Ziegen. Es war gerade die massiv ausufernde Intensität dieses Gedichtes, die als Kennzeichen nicht beabsichtigter Beleidigung dienen sollte. Ähnlich der "Scherzerklärung" nach § 118 BGB sollte die massive Übertreibung "den Mangel der Ernstlichkeit" erkennbar werden lassen.

Nun kam es, wie es kommen musste: Das ZDF löschte die komplette Sendung aus der Mediathek und die restlichen Medien aus Rundfunk und Print griffen das Gedicht aus dem Zusammenhang, druckten den Text ab und stellten Böhmermann als Rassisten und Obrigkeitsbeleidiger dar. Die Rezipienten dieser unprofessionellen, weil selektiven Darstellung haben dann im Netz auch erwartungsgemäß zunächst gegen Böhmermann gewettert: Das sei nun wirklich keine Satire mehr!

Einige Zeit später schaltete sich Merkel mit der Beurteilung ins Geschehen ein, das Gedicht sei "bewusst verletzend" gewesen. Zuvor erstellte das Auswärtige Amt ein Gutachten, das den Tatbestand der Obrigkeitsbeleidigung nach § 103 StGB prüfte und zu dem Ergebnis kam, Böhmermann habe sich strafbar gemacht. Ab dann wartete die Nation auf die Entscheidung der Bundesregierung: Ermächtigt sie die Staatsanwaltschaft (StA) zur verschärften Strafverfolgung nach § 104 a StGB?

Merkel trat alsdann in die Öffentlichkeit und verkündete, dass sie die Ermächtigung zur verschärften Strafverfolgung nach § 103 StGB erteilt habe, die StA nun also gegen Böhmermann in den Ring steigen werde. 

Die vorverurteilende Kanzlerin

Bemerkenswert: Merkel wartete nicht die obligatorische Expertise der zuständigen StA ab (§ 209 II RiStBV).

Nochmal die zeitliche Abfolge:

  1. Schnellgutachten des Auswärtigen Amtes
  2. Merkels Urteil, das Gedicht sei "bewusst verletzend"
  3. Pattsituation im Kabinett, Merkel entscheidet für Ermächtigung der StA
  4. Außerachtlassung der juristischen Sichtweise der StA

Die Bundeskanzlerin hat ihrer subjektiven Sichtweise auf die Causa "Böhmermann" Vorrang gegenüber einer akkuraten juristischen Prüfung der Sach- und Rechtslage eingeräumt.

Für Angela Merkel stand von vornherein der Vorsatz Böhmermanns zur Beleidigung fest ("bewusst verletzend") und sie sah daher keinen Grund, auf die juristische Beurteilung der StA zu warten und ihre Entscheidung auf deren Rechtsauffassung zu stützen, die Böhmermann ggf. entlastet hätte.

Inkonsistente Argumentation und Täuschungsmanöver der Kanzlerin

Die Tatsache, dass Angela Merkel verlautbaren ließ, der ihrer Entscheidung zugrundeliegende § 103 StGB solle in naher Zukunft abgeschafft werden, nimmt sich angesichts des Vorgenannten ambivalent aus: Wieso bei Wahlfreiheit für oder gegen Strafverfolgung FÜR die Strafverfolgung votieren, wenn doch gleichzeitig die Sinnhaftigkeit dieses Paragrafen verneint und dessen Abschaffung beschlossen wird?

Über diese skurrile Widersprüchlichkeit merkel'scher Faselei hinweg, setzte die Kanzlerin noch einen obenauf: Sie stellte Ihre Entscheidung für die Ermächtigung als rechtsstaatlich einzig mögliche dar: Schließlich überlasse sie die Entscheidung der deutschen Gerichtsbarkeit und achte daher die Gewaltentrennung.

Insgesamt erweist sich die Kanzlerin hier als ziemlich perfide Rhetorikerin, ist doch die Staatsanwaltschaft Teil der Exekutive (§ 146 GVG) und damit dem Justizminister unterstellt, der wiederum der konkreten Entscheidung der Kanzlerin folgte. Merkel befand sich also nicht in einer rechtlich bedenklichen aber gesetzlich eingeräumten "Gewaltenvermischung" zu ihren Gunsten, deren Versuchung Macht auszuüben sie heroisch widerstanden hätte, nein, § 104a StGB räumte ihr völlig rechtsstaatlich und im Rahmen der Gewaltenteilung zustandegekommen das Ermessen ein, für oder gegen eine Strafverfolgung votieren zu können. JEDE Ihrer Entscheidungen wäre ebenso rechtsstaatlich gewesen, wie sie der Gewaltenteilung entsprochen hätte.

Selbst Alternativen verkauft sie als Alternativlosigkeit

Nun entschied sie aber für die verschärfte Strafverfolgung Böhmermanns und nicht gegen das Ersuchen der türkischen Regierung. Hier liegt verwaltungsrechtlich ein Eingriff in die Rechte Böhmermanns vor, der nur dann gerechtfertigt wäre, sofern er geeignet, erforderlich und angemessen ist. Das steht zu bezweifeln - alleine schon deshalb, da die Kanzlerin selbst den Paragrafen abzuschaffen gedenkt und ihre Entscheidung eben nicht auf Grundlage der StA sondern aus überwiegend subjektiven Gründen fällte; ob eine Güterabwägung ihrerseits überhaupt stattgefunden hat, wäre zu ermitteln. Die unzutreffende Betonung der Kanzlerin, nur diese Entscheidung werde der Gewaltenteilung gerecht, sollte wahrscheinlich als Sachzwang verstanden werden, um die verschärfte Bedrohung von Böhmermanns Grundrechten als "alternativlos" erscheinen zu lassen.

Die Entscheidung gegen das Ersuchen Erdogans wäre hingegen nichteinmal eine Strafvereitelung im Amt oder eine Rechtsverkürzung gewesen: Über § 185 StGB klagte der türkische Präsident bereits wegen Beleidigung seiner Person und diese Strafverfolgung bietet hinreichenden Rechtsschutz auch für Staatsoberhäupter. Den türkischen Präsidenten auf diesen Klageweg zu verweisen mit der Bemerkung, die Bundesregierung wolle § 103 StGB in Kürze sowieso abschaffen, da der Tatbestand einer Majestätsbeleidigung in einem echten demokratischen Rechtsstaat unpassend sei und dass eine Verurteilung auf der Grundlage dieses § dann folglich sowieso nicht mehr möglich sei - das wäre juristisch sauber und außen- wie innenpolitisch ein Gewinn gewesen. UND es wäre den in der Türkei von Erdogan politisch verfolgten Journalisten, Künstlern und Satirikern von Nutzen gewesen; sie hätten in Merkel eine Unterstützerin ihrer Sache gehabt. Merkel hätte die Türkei beeinflussen können - nun beeinflusst Erdogan Deutschland, sodass sogar die Times und die Washington Post schreiben, wie ungeschickt Merkel sich hat von Erdogan dominieren lassen. Kubicki ging daraufhin so weit zu sagen, Merkel hätte Deutschland der Lächerlichkeit preisgegeben.

Wenn die Umfragewerte sinken...

Einige Tage war nun von Merkel diesbezüglich nichts mehr zu hören, allerdings rauschten ihre Umfragewerte in den Keller, weil ein Großteil der Bundesbürger Merkels Entscheidung zur speziellen Strafverfolgung Böhmermanns falsch fand. DAS schrie nach einer PR-Reaktion, die dann auch alsbald folgte:

Angela Merkel ließ wissen, dass die Äußerung ihrer persönlichen Bewertung im Rückblick betrachtet ein Fehler gewesen sei, weil sie zu dem Eindruck führte, ihr sei Meinungsfreiheit nicht mehr wichtig, Pressefreiheit sei nicht mehr wichtig. Gleichzeitig betonte sie aber, ihre Entscheidung für die Ermächtigung zur verschärften Strafverfolgung sei nach wie vor richtig.

Wiederum ein typisches merkel'sches Täuschungsmanöver: Wer einen Paragrafen abschaffen will, weil er mit dem Werteverständnis des Grundgesetzes nicht mehr im Einklang steht, gleichzeitig jedoch aufgrund ebendieses Paragrafen eine verschärfte Strafverfolgung zulässt, der ist zu Recht nicht glaubwürdig, wenn er behauptet, ihm lägen Grundrechte am Herzen, zumal es im Ermessen der Kanzlerin stand, von einem Eingriff in die böhmermann'schen Grundrechte abzusehen und das ausländische Staatsoberhaupt auf die herkömmliche Klagemöglichkeit nach § 185 StGB zu verweisen.

Nein, die Kanzlerin hat sich mit ihrer Reaktion auf die böhmermann'sche Satire einen Kratzer beigebracht, der Lack ist ab und zeigt die Grundrechtsvergessenheit von Angela Merkel.

Dass dieser Angriff auf unsere Grundrechte Konsequenzen in dem Rest des Exekutivapparates haben würde, zeichnete sich ab, als die Polizei in Berlin Piratenchef Kramm festnahm, der Zeilen aus dem Böhmermanngedicht in der Absicht zitierte, den nichtbeleidigenden sondern satirischen Charakter des Gedichtes herauszuzeichnen. Zuvor war die Auflage erteilt worden, das Gedicht nicht zu rezitieren.

Hier lässt sich fragen, ob die Verwaltungsbehörde und die Polizei auch so restriktiv gehandelt hätten, wenn es die Kanzlerin bei der Strafverfolgung aufgrund des herkömmlichen Beleidigungsparagrafen 285 StGB belassen und das Gedicht Böhmermanns nicht über 103 StGB dem Verdacht besonderer Strafbarkeit ausgesetzt hätte. Ich meine: Die Verwaltung und die Polizei wären entspannter und solch eine Versammlung möglich gewesen.

Dahin das grundrechtsselige Freiheitsempfinden

Unsere Kanzlerin hat der Nation eine Lehre erteilt und die wird von den Verwaltungsbehörden im Fall von Versammlungen mit Bezug zur Türkei grundrechtseinschränkend in die Tat umgesetzt. Insbesondere die politischen Künstler und Satiriker sowie die Medienschaffenden, die politische Kunst und Satire transportieren, werden schlicht und ergreifend eingeschüchtert sein. Hier ist nun die Schere im Kopf, weil alle wissen: Die Kanzlerin stellt sich nicht schützend vor ihre grundrechtsberechtigten Künstler und Satiriker, sondern bedient sich im Zweifel eines anachronistischen Paragrafen um einem dubiosen Autokraten verschärften Zugriff auf unsere Grundrechte zu gewähren.

Erdogan hat ein bisschen türkische Realpolitik in Deutschland Realität werden lassen. Ist das ein Vorgeschmack auf die zukünftige EU mit der Türkei als Mitgliedsstaat?

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